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FÉDÉRATION DES ARTISANS

Blog n°3 - Die Wohlstandsblase platzt ?

4 janvier 2023

par: Romain Schmit

 

 

Während unsere Nachbarregionen im Zuge des Abgesangs der Stahlindustrie verarmten und seitdem in ihren jeweiligen Nationalstaaten zu den Sorgenkindern zählen, mauserte sich Luxemburg zu einer Wohlstandsblase, einer richtigen wealth bubble. 

Diesen Umstand haben wir weniger der Tatsache zu verdanken, dass wir Luxemburger fleissiger, intelligenter oder umtriebiger wären als die Menschen in anderen Teilen der Grossregion. Es war vielmehr unsere Kleinstaatlichkeit und das Vorhandensein einer nationalen Souveränität, die weitsichtige Staatsmänner wie Pierre Werner und Gaston Thorn nutzen, um Luxemburg in der profitablen Nische zu platzieren in der wir bis heute leben. 

Der Finanzplatz ist die wirtschaftliche Zugmaschine an der Luxemburg und nicht unwesentliche Teile der Grossregion hängen. Auch wenn es heute keiner hören will: Es liegt vor allem an der Finanzwirtschaft und an der von ihr generierten Dynamik, die es ermöglichen, dass in Luxemburg doppelt so hohe Löhne gezahlt werden, wie überall sonst in Europa, dass wir uns einen Staatsbediensteten monatlich im Durchschnitt 8.688 Euro (Frankreich 2.019€, Deutschland 3.405€) kosten lassen können, dass wir vom Feuerwehrbau über Schulen bis hin zum Krankenhaus Infrastrukturen haben, die man so nur an wenigen Orten der Welt wiederfindet, und dass wir Transferleistungen zahlen, von denen Menschen in anderen Ländern nicht mal zu träumen wagen. 

Wer nur einen Funken intellektueller Ehrlichkeit besitzt, der kommt um das Bild der «bubble» nicht herum. Wer sich ein Bild machen will, wie es ausserhalb dieser Blase aussieht, kann sich gerne im Grenzgebiet umsehen. Genau so würde es auch in Luxemburg aussehen, wenn seinerzeit nicht eine Handvoll couragierter Politiker Entscheidungen getroffen hätten, die sich im Nachhinein als die Richtigen zur richtigen Zeit erwiesen haben.  

Auf dieser Grundlage sollte man eigentlich davon ausgehen können, dass ein nicht unwesentlicher Teil der politischen Energie darauf verwendet wird, diese Blase, von der so viel abhängt, aufrechtzuerhalten. Es ist ja nicht so, dass unsere Wohlstands-Finanzplatzwirtschaftsblase im luftleeren Raum schwebt. Sie steht in direkter Konkurrenz zu Nachbarländern und anderen Wirtschaftsräumen, ist politischen und machtdynamischen Wechselbeziehungen unterworfen seitens Ländern, die teilweise Luxemburg für ein dysfunktionales Phänomen in der globalen Wirtschaftsordnung halten. Die Wohlstandsblase zu erhalten, erfordert also ein politisches Bekenntnis und strategisches Agieren in einem immer komplexeren und unsicheren Umfeld. 

Man muss kein versierter politischer Beobachter sein, um festzustellen, dass beides in Luxemburg nicht im nötigen Umfang vorhanden ist.

Der grösste Teil des politischen Personals und der sogenannten forces vives, die den politischen Diskurs prägen, sind in der Blase aufgewachsen. Für sie ist die Bubble kein fragiles Konstrukt, sondern eine Selbstverständlichkeit. Genauso selbstverständlich, wie dass Wasser aus dem Wasserhahn kommt und Strom aus der Steckdose.  

Wir haben zunehmend eine politische Klasse und einen Verwaltungsapparat, der sich nicht für die Grundlagen unseres wirtschaftlichen Wohlstandes interessiert. Wann haben Sie zuletzt einen Politiker über Wettbewerbsfähigkeit reden hören? Und täte er es, würde er hierzulande milde belächelt werden. In Politikerkreisen ist Wirtschaftskompetenz inzwischen eher ein Makel als eine Tugend.

Der politische Wettstreit ist darüber entbrannt, wer dem Wähler die am meisten von der Realität entkoppelte Wunschvorstellung verkaufen kann, ohne dass es komplett unglaubwürdig wird. Strukturelle Zeitbomben wie die Rentenfrage, die explodierenden Kosten des Gesundheitssystems oder die demographische Schieflage werden politisch genauso ausgeblendet wie die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und die Frage wer und wie das alles bezahlen soll.

Die politische Agenda scheint sich vor allem um eine bestimmte Interpretation der Work-Life Balance zu drehen, wobei man den Eindruck gewinnt, dass Lohnarbeit auf ein Minimum beschränkt werden soll.  Die LSAP versucht sogar eine Arbeitszeitreduktion auf die Agenda zu bringen. Angesichts der demographischen Entwicklung, der Zuspitzung der Rentenproblematik und der Lage am Wohnungsmarkt ist das zwar der reine Wahnsinn, doch was soll’s, anscheinend wollen «die Wähler» das.

Gleichzeitig zirkuliert ein etwas merkwürdiges Gerechtigkeitsverständnis, das weniger vom Prinzip der Chancengleichheit ausgeht, sondern dass der Staat gefälligst jedem Bürger das gleiche Resultat zu garantieren hat. In der Praxis passiert jedoch das genaue Gegenteil, indem die indexgetriebene Lohnpolitik und ein überfinanzierter Beamtenapparat die Lohnschere strukturell auseinandertreibt und Geringverdiener, denen in der Regel die politische Teilhabe verweigert ist, systematisch benachteiligt.

Als Kirsche auf dem Kuchen wird dann die Diskussion um Arbeitsbeziehungen in Luxemburg mit tatkräftiger Unterstützung grosser Teile der Politik von einer Gewerkschaft dominiert, die Lohnarbeit als Unterdrückungsverhältnis versteht, welches man im Kampf gegen den Klassenfeind überwinden muss. Laut der zugrundeliegenden marxistische Klassenkampflogik schafft man damit zwar die wirtschaftliche und finanzielle Grundlage für Lohnarbeit gleich mit ab, doch diese Tatsache ist entweder nicht bekannt oder wird verschwiegen.

Ähnlich kritisch wie die Arbeit werden Unternehmen und Wirtschaft betrachtet. Bei der Wirtschaftspolitik geht nicht mehr die Rede von Wettbewerbsfähigkeit und Standortvorteilen, sondern von green, digital und sustainable. «Luxembourg strategy», eine Art Zukunfts-thinktank des Wirtschaftsministeriums, zeichnet für 2050 mehrere Verzichtsszenarien, die, wenn man ehrlich ist, eine einschneidende Rentenreform ebenso voraussetzen würden, wie Null-Flächenverbrauch und die Aufgabe von fast sämtlichen privaten Besitzansprüchen, was dem Wähler selbstverständlich verschwiegen wir. Das ist alles schön und gut, aber ist es so, wie man dem durchschnittlichen Staatsbeamten sein Monatssalär von 8.688 Euro samt Karriereplanung finanzieren wird?

Industriepolitik besteht seit einigen Jahren vor allem aus gescheiterten Niederlassungsversuchen, wobei einige entnervt aufgeben und andere sich – noch - wehren. Wollen wir an dieser Stelle Wetten auf das Google-Projekt in Bissen abschliessen? Hoffen wir, dass der von der Regierung auf Beamtenebene eingesetzte Nachhaltigkeitscheck tatsächlich dafür sorgen wird, dass Investitionsprojekte in Zukunft nicht mehr wegen angeblich zu hohem Wasserverbrauch verhindert werden, obwohl seitens des Wasserwirtschaftsamtes grünes Licht erteilt wurde.

Die Finanzindustrie macht zwar keinen Dreck im klassischen Sinn, doch vom moralischen Standpunkt aus ist uns die Vorstellung, mit Geld Geld zu machen, ein Graus. Dieser Tage hört man immer wieder, dass Luxemburg keinen Finanzplatz braucht, wenn Staatsbeamte keinen Hypothekenkredit mehr bekommen. Wo waren die gleichen Stimmen, als die Mitarbeiter von Handwerks- und Industriebetrieben sich im benachbarten Ausland ein Haus kaufen mussten, weil es hierzulande zu teuer war und ist?

Dementsprechend gibt es in Luxemburg eine nicht zu vernachlässigende und medial sehr präsente Gruppe, die für eine Art «Remise à plat» plädiert und das Erfolgsmodell «Lëtzebuerg » implodieren lassen wollen, um auf den Trümmern ein neues, «gerechteres» Luxemburg aufzubauen. Ein schöne, wenn gleich auch ungemeine naive Vorstellung. Was weg ist weg und da wächst auch nichts mehr. 

Die Erosions- und Zersetzungsbewegung kann erste Erfolge verzeichnen: Investmentfonds wandern gerade massiv in Richtung Irland aus. Mutterhäuser von Finanzinstituten fragen sich zunehmend, was sie mit ihren Luxemburger Dependance anfangen sollen. Die Industrie, die hier ist, stellt sich die Standortfrage und mittelständische Strukturen stossen angesichts der immer restriktiveren Auflagen an ihre Grenzen. Und anders als in der Stahlkrise gibt es keine führenden politischen Köpfe, die eine gangbare Alternative entwickeln könnten.

Auch wenn sich der Zeitpunkt vermeintlich gut eignet, darf man die Weihnachtsgeschichte nicht glauben, dass wir die Wohlstandsblase platzen lassen können und dann alles, was uns stört weg sein wird und wir den vermeintlich übriggebliebenen Wohlstand samt in seiner reinen Form behalten können.

Das Gegenteil ist der Fall. Doch erst wenn der letzte Handwerker weg ist, werdet Ihr merken, dass weder der Staat noch seine Beamten eine Heizung oder ein Auto – eine Tram schon gar nicht – am Laufen halten, keine Wurst oder Brot herstellen und nicht einmal Wasser zur Verfügung stellen können, weil es keine Leitungen und funktionierende Wasserhähne gibt.