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FÉDÉRATION DES ARTISANS

Blog n°1 - Um was geht es in der kommenden Tripartite?

15 septembre 2022

Um was geht es bei der kommenden Tripartite? Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen. Europa und damit Luxemburg steckt in der größten Krise der Nachkriegszeit. Die Finanzkrise 2008 hat die Wirtschaft und die Finanzindustrie, vor allem aber die Staaten an sich bis ins Mark getroffen. Im Großen und Ganzen aber blieben die wirtschaftlichen Fundamente unangetastet. Energie, Material, Lieferketten, sogar die Inflation blieb überschaubar. Was also ist anders?

In der Vergangenheit stieg der gesellschaftliche Wohlstand parallel zum Zugang zu immer mehr und immer billigerer Energie. Insbesondere der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Deregulierung des Energiemarktes sowie der Wandel der USA vom Energieimporteur zum Exporteur haben in den vergangenen Jahrzehnten den Eindruck entstehen lassen, Energie sei kein Thema mehr. Unser Nachbarstaat Deutschland ließ sich in dieser Gemengelage sogar dazu verleiten, zeitgleich aus Kohle und Atom auszusteigen und den Energiewandel hin zu Erneuerbaren zu wagen.

Nun hat der Ukrainekrieg diese scheinbar universelle zugrundeliegende Energie-Wachstum-Gleichung gehörig durcheinandergebracht.

Für einen guten Teil der Haushalte, aber auch für unzählige Unternehmen, werden die Energiekosten in naher Zukunft, wenn nicht unbezahlbar, so doch existentiell. Zugegeben, die Ausgangslage in Deutschland ist anders als bei uns, doch scheint die Zukunft des Wirtschaftsstandortes momentan angesichts der weiterbestehenden Abhängigkeit von russischem Gas nicht gesichert. Industrie kann auslagern. Der Mittelstand legt den Schlüssel unter die Tür. Auch wenn ein Wirtschaftsminister meint, zwischen temporären Produktionsstopps und Insolvenzen eine feine Linie ziehen zu können.

Und in Luxemburg? Hört man das, was von Regierungsseite und aus dem Gewerkschaftslager kommt, scheint der Ernst der Lage noch nicht richtig durchgedrungen zu sein. Und auch die Opposition redet verdächtig oft über Kaufkraft statt über die zugrundeliegenden Fragen.

Wir sind wieder im klassischen Tripartitemodus angekommen, wo Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften über Indextranchen und Kompensationen verhandeln, während die Parteien darauf bedacht sind, sich angesichts der anstehenden Wahlen politisch nicht die Finger zu verbrennen. Leider sind die Wahlen erst für Oktober 2023 angesetzt, so dass man befürchten muss, dass die Zeit des politischen Lavierens und Taktierens noch über ein Jahr andauern kann. Die neue Regierung muss es dann richten. Prinzip Hoffnung? Augen zu und durch? Ein paar Indextranchen später wird der Rauch sich heben und die Wirtschaft wird sich wieder einmal wundersam aus den Trümmern der „Laisser- aller“-Politik erheben?

Nichts ist unwahrscheinlicher!

Auf die Gefahr hin, dramatisch zu klingen, geht es um nichts weniger als um die ökonomischen und sozialen Grundlagen des Landes. Europa ist Kriegspartei. Luxemburg ist Kriegspartei. Kriegspartei in einem Energiekrieg, der Putins letzte Waffe ist in einem militärisch nicht zu gewinnenden Konflikt.

Durch unsere energetische Abhängigkeit sind wir unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt. Insbesondere die Nimby-Hochburg Luxemburg verfügt über keine nennenswerte autonome Energieproduktion: keine Atom-, Gas- oder Kohlekraftwerke, unbedeutende Wasserkraft, Bürgerinitiativen gegen jedes Windrad, Verwaltungsprozeduren ohne Ende bei allen möglichen Infrastrukturen oder Bauvorhaben. Mit dem Resultat, dass quasi jedes Kilowatt importiert werden muss. Ganz schön schizophren für einen der größten Pro-Kopf-Energieverbraucher der Welt.

Was Corona nicht geschafft hat, erledigen nun scheinbar die Gas- und Strompreise: die Konkurse werden kommen. Eine Vervielfachung der Energiepreise überlebt kein Betrieb, auch wenn Gas und Strom nur wenige Prozent der Kosten ausmachen. Ein Bäcker, der bis jetzt 100.000 Euro Energiekosten hatte, soll in Zukunft ein Mehrfaches dieses Betrages für das gleiche Gas bezahlen? Dazu die Mehrkosten für gestiegene Einkaufspreise quer durch den Garten, und gleich mehrere Indextranchen. Mit Verlaub, das geht nicht!

Ein durchschnittliches Bauunternehmen „verdient“ im Schnitt 2% seines Bruttoumsatzes. Damit können die anstehenden Kostensprünge definitiv nicht mal einfach so weggesteckt werden. Und mit einem Verrücken einer oder sogar mehrerer Indextranchen ist es auch nicht mehr getan! Luxemburg muss sich zusammen mit der Tripartite die Frage beantworten, wie es durch die anstehende Wirtschaftskrise kommen will. Und dies wird nicht mit Rezepten aus der Vergangenheit und mit „weiter so!“ zu machen sein. Doch wenn man sich so anhört, was aus den verschiedenen Lagern so kommt, ist Luxemburg mit seiner Klassenkampfmentalität schlecht für diese Herausforderung gerüstet. Oder ist besagter Klassenkampf die Erfindung einer Gewerkschaft?

Wir stecken in einer systemischen Krise und die Frage, die wir beantworten müssen, hat nichts damit zu tun, wie geschaffener Mehrwert zwischen Kapital und Salariat verteilt werden soll. Es geht hier nicht um eine zusätzliche Episode des Luxemburger Modells, sondern um das Modell an sich. Wenn die Gewerkschaften nicht willens sind, die aktuelle Situation als die schwierigste Krise der Nachkriegszeit zu begreifen, wird die Tripartite, wird der Sozialdialog als Kriseninstrument versagen.

Das Statec hat ein positives, ein negatives und ein Katastrophen-Szenario berechnet, nach denen innerhalb von etwas mehr als 2 Jahren bis zu 6 Indextranchen erfallen sollen, wobei keineswegs garantiert ist, dass es nicht noch schlimmer kommt.

Doch eigentlich ist es egal, welches Szenario sich materialisiert. Sehr vielen mittelständischen Unternehmen wird jedes Szenario das Genick brechen. Unternehmen sind der Energiekrise ebenso schutzlos ausgeliefert wie die Menschen. Die Lieferketten sind immer noch unterbrochen. Packt man da innerhalb von 24 Monaten noch eine 20-prozentige Verteuerung der Lohnkosten drauf, kann sich der Standort Luxemburg dauerhaft von seiner Wettbewerbsfähigkeit verabschieden.

Die zentrale Frage ist also nicht, ob und wie Indextranchen manipuliert werden sollen. Die Frage ist, wie wir unsere wirtschaftlichen Grundlagen vor dem Tsunami, der auf uns zurollt, schützen.

Prognosen nach wird sich der Energiepreis 2024 wieder stabilisieren. 2022 und 2023 sind also Schicksalsjahre, in denen die Regierung beschließen muss, wie es 2024 in Luxemburg in puncto Wirtschaftsstruktur und Arbeitsplätze aussehen wird.

Der Index ist jedenfalls die schlechteste Antwort, die wir im Kontext der Energiekrise geben können. Bei unteren Einkommen reicht es nicht, bei höheren Einkommen wird die Energie überkompensiert, die Lohnschere geht weiter auf und Unternehmen werden über Gebühr belastet.

Werden wir über diesen Schatten springen können? Was können wir tun?

Es müsste uns gelingen, Menschen und Unternehmen wenigstens teilweise von den Energiemärkten abzuschirmen. Mit der Inflation steigen auch die Einnahmen des Staates. Dort müsste es also Spielraum geben, um mittels gezielter Energiehilfen sozial selektiv und wirtschaftlich sinnvoll einzugreifen. Bei den Haushalten, die es am nötigsten haben. Und bei den Unternehmen, die aufgrund ihrer Produktion einen hohen Energieverbrauch haben. Gießkannenpolitik wie die automatische und integrale Lohnindexierung ist definitiv fehl am Platz!

Unternehmen, die von der Energiekrise weniger betroffen sind und Menschen mit höheren Einkommen könnten sich solidarisch zeigen.

Den Unternehmen sämtliche anfallende Indextranchen integral aufzubürden und sie in der Energiekrise im Regen stehen zu lassen, ist jedenfalls keine Option, die man akzeptieren kann. Da helfen auch keine „Kompensationen“ für Unternehmen, insbesondere, weil der Rechtsrahmen hier sehr eng gestrickt ist und nur wenige Möglichkeiten lässt. Und weil man auf die Art auch keine Marktanreize über den Preis liefert, der die Verbraucher zu Energieeinsparungen veranlasst. Wozu auch, wenn der Energieverbrauch doch sowieso kompensiert wird?

Den Reflex, Unternehmen zu stigmatisieren und Wirtschaftskompetenz für eine Krankheit zu halten, werden wir uns in dieser Situation nicht länger leisten können. Hier stehen die Regierung und nachher die Parteien in der Verantwortung. Schließlich wollen sie auch für die Zeit „danach“ eine gesunde Wirtschaftsstruktur mit einem starken Mittelstand haben, andernfalls sie sich über das Hier und Heute definitiv keine Gedanken zu machen brauchen.

Hoffen wir, dass es der Tripartite gelingen wird, die richtigen Fragen zu stellen und gangbare Antworten zu finden. Politisch zumindest naiv wäre es, sich blind darauf zu verlassen, dass ein Kompromiss gefunden werden wird. Dafür steht für die Unternehmen zu viel auf dem Spiel!

Romain Schmit

Secrétaire général

Fédération des Artisans