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FDA - NEWS

Moral und Emotionen anstatt Realpolitik 

Christian Reuter

 

Die Wahlgeschenke sind verteilt, die Programme werden geschrieben und die kreative Geschichtsschreibung, bei der es darum geht, das vermeintlich Positive der ablaufenden Legislaturperiode für die eigene Partei zu verbuchen und die Patzer der Konkurrenz in die Schuhe zu schieben, beginnt.

Aus der Wahlforschung weiß man, dass die Bürger weniger die Bilanz einer Regierung bewerten, sondern eher die angenommene Fähigkeit von Parteien oder politischen Köpfen die kommenden Herausforderungen zu meistern.

In den Augen des Handwerks steht die Politik und damit die Parteien vor neuen Herausforderungen, die sich maßgeblich von jenen vergangener Legislativwahlen unterscheiden.

Die zweite Amtszeit der Dreierkoalition war vor allem durch eine Aneinanderreihung von Krisen gekennzeichnet, bei denen sowohl Krisenmanagement als auch die Mobilisierung von erheblichen finanziellen Mitteln gefragt waren.

In beiden Feldern haben die Minister, die diesbezüglich an vorderster Front standen, keine schlechte Figur gemacht, wobei der finanzielle Spielrahmen eher einer noch leistungsfähigen und krisenresistenten Wirtschaft zu verdanken ist als politischen Entscheidungen.

Genau wie die Regierung unerwartet stark beim Reagieren auf Krisensituationen war, war sie gewohnt schwach, wenn es um darum geht, strukturelle Baustellen anzugehen.

Die Tripartite ist vom nationalen Kriseninstrument zum Index-Rettungsmechanismus geschrumpft, bei dem in bester Draghi-„Whatever it takes“-Manier, Milliarden an öffentlichen Mitteln verwendet wurden, damit der Lohnindexierung mit all seinen unsozialen Ausprägungen unangetastet bliebt.

Wäre Luxemburg ein Auto, würde sich die gesamte politische Aufmerksamkeit auf die Sitzheizung konzentrieren, während sich über den Motor keiner übermäßig Gedanken macht.

Das ist ein Problem. Durch die Pandemie und vor allem durch die geopolitischen Verwerfungen ist die Welt dabei, sich politisch und wirtschaftlich neu zu ordnen. Die Globalisierung, von der Luxemburg ein kleiner aber sehr feiner Nutznießer war, ist dabei, sich in ein System konkurrierender Blöcke zu wandeln, die Einflusszonen beanspruchen. Die regel- und wertebasierte Ordnung wird zu einem Teil einer von Interessen geleiteten Politik weichen müssen.

Es geht jetzt nicht mehr nur darum, auf Ereignisse zu reagieren, sondern darum Luxemburg in einem neuen Umfeld zu positionieren.

Die Realpolitik ist wieder da und das ist keine gute Nachricht für Europa und auch nicht für Luxemburg. Europa wird mehr und mehr zum Exporteur von moralischen Ansprüchen und einem emotionalisierenden politischen Ansatz und immer weniger Exporteur von konkurrenzfähigen Produkten und Dienstleistungen.

Fähigkeiten, die in einem realpolitischen Umfeld von zentraler Bedeutung sind, nämlich wirtschaftliche und politische Interessen aktiv und auch gegen Widerstände wahrnehmen, befinden sich allenfalls an der Peripherie der politischen Debatte.

Die Moralisierung und Emotionalisierung von allem wirtschaftlichen und politischen steht heute bei uns im Zentrum. Und da stehen wir in Europa relativ alleine da. Die USA, Indien, China und zunehmend Afrika schämen sich nicht zuzugeben, dass sie eigene Interessen haben.

In Europa gewinnt man zunehmend den Eindruck, dass wir dabei sind, uns selber zu sabotieren. Dort, wo Kreativität, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit gefragt werden, reagieren wir mit einer immer lähmenderen Regelungsdichte. Die europäische Kommission und danach die nationalen Gesetzgeber wissen in allen Lebenslagen am besten, was andere zu tun haben und in unserer Überheblichkeit sind wir der festen Überzeugung, dass der Rest der Welt es uns aus reiner Bewunderung gleichtun wolle.

Die Karten werden gerade neu verteilt und das wird auch für Luxemburg Auswirkungen haben.

Durch unseren Finanzplatz leben wir in Luxemburg in einer Wohlstandsblase, die uns gegenüber unseren Nachbarländern abhebt. Die höchsten Löhne, die höchsten Pensionen, die großzügigsten Sozialleistungen und dies am liebsten bei so wenig Arbeit als irgendwie möglich.

Trotz dieser Ausnahmesituation interessieren sich große Teile der politischen Klasse und der Verwaltungen nicht für die wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen unseres Wohlstandes, ganz so als wäre dieser gottgegeben.

Auch in Luxemburg ist die politische Debatte von Moral und Emotionen geprägt. Wir beschäftigen uns vorwiegend mit Dingen, die uns angenehm sind. Work-Life-Balance, mehr Urlaub, weniger Arbeiten, kostenlose öffentliche Dienstleistungen, Gehälterabkommen.

Was uns unangenehm ist, wird ignoriert und durch die moralische Brille bewertet. Rentenfrage, Wettbewerbsfähigkeit, steuerliches Umfeld unseres Finanzplatzes, Produktivität der Unternehmen.

In offiziellen Strategiepapieren tun wir so, als könnten wir wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Wohlstand entkoppeln. Wir brauchen keine wettbewerbsfähige Wirtschaft und kein Wachstum, aber die Früchte des Wachstums wollen wir behalten.

Nicht umsonst forderte der Präsident der Fédération des Artisans Luc Meyer anlässlich des Pot des Présidents des Handwerks vor zahlreichen Ministern und Abgeordneten, dass die Politik endlich die Augen öffnen und sich mit der Wirklichkeit beschäftigen sollte.

Wie gesagt werden die Karten gerade neu verteilt. Wenn Luxemburg seine Wohlstandsblase erhalten will, ist in der Tat der Moment gekommen, unsere Interessen im Auge zu haben und sie zu verteidigen. Bei uns zuhause und im europäischen und globalen Umfeld und zwar im Sinne der Realpolitik. Dass es anscheinend sogar nicht mehr einmal möglich ist, ein Hightechunternehmen wie Google in Luxemburg anzusiedeln, lässt über den Ist-Zustand tief blicken.

Wir werden sehen, welche Parteien erkannt haben, was gerade auf dem Spiel steht und welche Parteien noch wissen, wo sich im Auto der Motor befindet.

 

Fédération des Artisans

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