EDITO - Warm anziehen
Warm anziehen
Erhöhung des Mindestlohnes um 3,2 Prozent ab Januar. Indextranche im Februar. Indextranche im April. Erwartete Indextranche zum Jahresende und die Zusage der Regierung diesbezüglich für Kompensationen zu sorgen.
Die Löhne steigen dieses Jahr also um etwas mehr als 10 Prozent in einem Umfeld, das sich für das Handwerk ohnehin als sehr schwierig darstellt.
Explosion der Material- und Energiepreise, massive Zinssteigerungen bei gleichzeitigem Einbruch der Nachfrage. Wie eine Umfrage der Fédération des Artisans ergab, ist jede Branche betroffen und alle Unternehmen kämpfen mit ähnlichen Problemen.
Das Kerngeschäft aller arbeitsintensiven Handwerksunternehmen ist die Leistung von produktiven Stunden. Produktiv ist die Stunde, wenn man sie einem Kunden in Rechnung stellen kann. Brummt z.B. der Bau, ist die Nachfrage an produktiven Stunden hoch und die Unternehmen haben in der Regel nicht die nötigen Mitarbeiter, um die Nachfrage zu befriedigen und reden von Fachkräftemangel. Bricht die Nachfrage an produktiven Stunden ein, dauert es nicht lange bis die eingehenden Aufträge nicht ausreichen, um sämtliche Mitarbeiter zu beschäftigen. Da, anders als angenommen, die Rentabilität von guten Unternehmen um zirka 5 Prozent liegen, sind keine Reserven vorhanden, um eine längerfristige „Unterbeschäftigung“ aushalten zu können. Die Situation kann also sehr schnell und sehr radikal umschlagen.
Die Regierung ist zu allem bereit, um die Kaufkraft der Wähler zu erhalten, doch was bringt das, wenn diese das Geld auf die hohe Kante legen.
Allein die Lohnindexierung bedeutet, dass ein Zehnmann-Unternehmen einen elften Mann oder eine elfte Frau bezahlen muss, ohne dass dieser im Gegenzug produktive Stunden erarbeitet und dazu beiträgt, die Kosten zu decken. Diese Mehrkosten müssen erst einmal erwirtschaftet werden in einem konjunkturell sehr schwierigen Umfeld.
Am Jahresende wird sich auch die Lohnschere wieder um ein ansehnliches Stück geöffnet haben. Wie Premierminister Xavier Bettel treffend in seinem Neujahrsinterview angemerkt hat, wird er signifikant mehr von der Lohnindexierung profitieren als der kleine Angestellte. Dieser hat nach 3 Indextranchen 174 Euro mehr in der Lohntüte und der Premier bringt 1.500 Euro zusätzlich nach Hause, während sich Ernährung, Energie, Mobilität, Kleidung usw. für jeden gleich verteuern. Für den OGB-L ist dieses System der Pfeiler eines gerechten Sozialmodells, wobei jedem damit klar werden müsste, welches Gerechtigkeitsverständnis der Gewerkschaft zugrunde liegt. Hinter der Klassenkampffassade wird sichergestellt, dass dem der viel hat, auch viel gegeben wird. Das führt dazu, dass das Medianeinkommen steigt, und damit mehr Arbeitnehmer mit kleinen Indextranchen dem statistischen Armutsrisiko ausgeliefert sind. Der gleiche OGB-L wird diesen Missstand anprangern und fragen, wie das im angeblich doch so reichen Luxemburg möglich sein kann. Die Politik und die Medien schlucken die Geschichte und lassen sich vor den Karren spannen. Falls wider Erwarten doch mal eine kritische Stimme hochkommt, wird die Steuerkarte gespielt. Sozialpolitik macht man nicht mit dem Index, sondern über Steuern. Wie der 1.300 Euro-Gap zwischen dem Premier und dem kleinen Angestellten über Steuern ausgebügelt werden soll, darüber schweigt des Sängers Höflichkeit und wird von den Medien auch nicht thematisiert.
Im gleichen Interview hat der Premier angedeutet, dass er die Lohnindexierung in puncto sozialer Gerechtigkeit auch problematisch sieht. Aber da der OGB-L sich strikt weigere, über das Thema auch nur zur reden, sei da wohl nicht viel zu machen…
Naja, bei so viel politischer Courage kann es einem schon ein wenig mulmig werden. Ein provokativerer Zeitgenosse könnte anmerken, dass es bei den kommenden Wahlen anscheinend darum geht, wer unter dem OGB-L Regierung spielen kann. Über die Juncker-Jahre gäbe es auch viel zu sagen, aber damals gelang es den Regierungen, sich die politische Lufthoheit zu sichern und die eine oder andere unpopuläre Entscheidung zu treffen, wenn es zum Wohl des großen Ganzen war.
Die verschiedenen Parteien bereiten gerade ihre Wahlprogramme vor, und die Fédération des Artisans ist dabei Unterredungen zu führen und die Positionen und Verschläge des Handwerks zu unterbreiten.
Bei allem Anspruchsverhalten und sozialen Verbrämung, bleibt die unpopuläre Feststellung, dass der Kuchen, der verteilt werden soll, erst einmal gebacken werden muss. Jeder Euro, der verdient, verteilt und investiert wird, muss erst einmal in einem Unternehmen erwirtschaftet werden. Diese Tatsache gilt auch für die Wohlstandsblase Luxemburg, obwohl immer weniger Politiker und Bürger dies in unseren postfaktischen Zeiten wahrhaben möchten.