„Ein Arbeitsminister, der sich wirklich für Arbeit interessiert“
„Ein Arbeitsminister, der sich wirklich für Arbeit interessiert“
Georges Mischo ist Arbeitsminister. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern scheint er sich tatsächlich für Arbeit zu interessieren. Das macht ihn zu einem roten Tuch für die Gewerkschaften und zu einer suspekten Figur für große Teile der politischen Klasse.
Mischo bricht mit einem ungeschriebenen Gesetz. In Luxemburg sind es die Gewerkschaften und nur die Gewerkschaften, die den Arbeitsbegriff und alles, was sich daraus ableiten lässt, definieren dürfen. Der Politik ist in ihren Augen höchstens ein Erfüllungsgehilfe, dem jeder gestalterische Rahmen verwehrt wird und eventuelle Anforderungen von Arbeitgeberseite werden als Provokation und Frechheit aufgenommen.
Diese Luxemburger Eigenart wird von den meisten politischen Verantwortungsträgern kritiklos, und was noch schlimmer ist, anscheinend komplett unreflektiert, hingenommen.
Anscheinend unbelastet von diesem historischen Paradoxon, erlaubt sich der Arbeitsminister eigenständige Gedanken über das Ressort, das ihm anvertraut wurde, anzustellen und thematisiert das ebenso Offensichtliche wie auch Unaussprechliche.
Gewerkschaften haben ein massives Legitimationsproblem.
Ihr Monopol und der lähmende Einfluss, den sie auf politische Zukunftsdiskussionen ausüben, werden nicht mehr von einer entsprechenden Unterstützung durch die Arbeitnehmer getragen.
Eine der Gewerkschaften insbesondere scheint mit ihrem Gedankengut, ihrem Selbstverständnis und ihren Methoden noch in den Klassenkämpfen des 19. Jahrhunderts verhaftet zu sein.
Die Arbeitswelt und die Ansprüche der Arbeitnehmer an ihre Arbeit werden jedoch zunehmend individueller und differenzierter. Unternehmen agieren unter immer komplexeren und weniger überschaubaren Rahmenbedingungen. Arbeitnehmer und Unternehmen erleben verschiedene Lebens- und Arbeitszyklen, denen man nur mit maßgeschneiderten Lösungen gerecht werden kann.
Diese Emanzipationsbewegungen sind für die Gewerkschaften der größte anzunehmender Unfall. Angesichts der wachsenden Herausforderungen setzen viele Regierungen auf faktenbasierte Politik. Wir blicken auf die Welt, wie sie ist, und nicht, wie wir sie uns wünschen, und versuchen, eine Politik zu machen, die für die Mehrheit der Menschen funktioniert.
Tatsache ist, dass das Organisationsmodell der Gewerkschaften zunehmend an Bedeutung verliert. Das ist keine Aussage der Politik oder der Arbeitgeber, sondern wird durch das messbare Verhalten der Arbeitnehmer bestätigt. Bei den Sozialwahlen geben fast 70 Prozent der wahlberechtigten Arbeitnehmer keiner der angetretenen Gewerkschaften ihre Stimme – ein klares Zeichen. In 77 Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen, die über 95 Prozent aller Betriebe ausmachen, wird die Personaldelegation durch unabhängige Mitarbeiter ohne Gewerkschaftsbeteiligung besetzt.
Der Arbeitsminister fragt daher, ob die zukünftige Gestaltung der Arbeitswelt auf zentraler Ebene erfolgen soll oder ob eine Einbindung aller Mitarbeiter und Unternehmen sinnvoller wäre, um den Arbeitsalltag dort zu gestalten, wo er tatsächlich stattfindet.
Der Minister hat angekündigt, alle Standpunkte anzuhören und sich dann eine eigene Meinung zu bilden, anstatt wie bisher üblich einseitig die Gewerkschaftspositionen zu übernehmen.
Die Gewerkschaften werten dies als Affront. Sie sind nicht bereit, sich dieser Diskussion zu stellen und knallen die Tür.
Die Politik könnte dies als Chance begreifen, um in Arbeitsfragen wieder mehr Handlungsspielraum zu gewinnen und den lähmenden Einfluss der Gewerkschaften auf gesellschaftliche Zukunftsfragen auf ein verträgliches Maß zurückzuführen.
Leider agiert Politik selten faktenbasiert und wird meist durch individuelle Interessen geleitet. Daher überrascht es wenig, dass in den Kulissen bereits die Messer gewetzt werden, um dem Arbeitsminister in den Rücken zu fallen.
Sobald es brenzlig wird, stimmen gewerkschaftsnahe Politiker und Opportunisten aller Couleur das hohe Lied des „Luxemburger Modells“ und des Sozialdialogs an – dem Grundpfeiler des Sozial- und Wohlstandsstaates.
Nüchtern betrachtet, besteht der institutionelle Sozialdialog jedoch meist darin, dass die Gewerkschaften unilateral bestimmen, was zu geschehen hat, die Arbeitgeber dies schlucken müssen und der Steuerzahler die Rechnung trägt.
Was Luxemburg am Laufen hält ist der Sozialdialog innerhalb den Unternehmen.
Es verdichten sich die Zeichen, dass auch Luxemburg eine Phase erreicht hat, in der Probleme durch politische Entscheidungen und nicht nur durch Geld gelöst werden müssen.
Ob es seine Absicht war oder nicht, der Arbeitsminister hat ein Gelegenheitsfenster geöffnet. Will man den Status quo beibehalten, in dem die Gewerkschaften in Arbeitsfragen und darüber hinaus, das Sagen haben, oder will die Politik in einer zunehmend komplexeren und vielfältigeren Welt eigene Handlungsfreiheit zurückgewinnen?
Die Arbeitswelt und die Wirtschaft verändern sich. Die Frage ist, ob die Politik diese Prozesse konstruktiv begleiten kann oder ob wir weiterhin im 19. Jahrhundert verharren möchten. Ein Arbeitsrecht, das ermöglicht statt verhindert, Kollektivverträge als Leitplanken statt Zwangsjacken und Gestaltungsräume im Betrieb gemeinsam mit den Mitarbeitern – das wären die Wege, auf denen wir vorankommen könnten.
Überlassen wir den Gewerkschaften weiterhin das Recht, darüber zu entscheiden, was in Luxemburg zur Debatte stehen darf und was nicht, haben wir bereits verloren.
Christian Reuter
Fédération des Artisans
Stellvertretender Generalsekretär